Rechtsanwälte Dr. Zacharias & Partner
Der Fall Emmely
In 2010 war das Thema Bagatellkündigung hochbrisant. Das hatte unter anderem mit der in Berlin lebenden Kassiererin Emmely zu tun. Nach Auffassung ihres Arbeitgebers eignete sie sich zwei Leergutbons im Wert von 0,48 € und 0,82 € an, die ein Kunde im Supermarkt verloren hatte und die vom Arbeitgeber in einer Kasse im Büro aufbewahrt worden waren. Diese Leergutbons löste sie anlässlich eines Einkaufs außerhalb ihrer Arbeitszeit bei einer Kollegin an der Kasse ein. Bei einem Gespräch mit ihrer Vorgesetzten bestritt die Arbeitnehmerin, die Leergutbons wissentlich an sich genommen zu haben. Der Arbeitgeber kündigte fristlos.
 Das Bundesarbeitsgericht hält die Kündigung für unwirksam. Zwar kämen Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers unabhängig vom Wert des Schadens als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht, auch wenn sie geringfügig einzustufen seien, jedoch müsse das Vertrauensverhältnis dadurch auch erschüttert sein. Eine geringfügigere Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses reiche nicht aus, um eine fristlose Kündigung zu begründen. In diesem Fall hätte eine Abmahnung des Arbeitgebers als Reaktion auf das Fehlverhalten der Mitarbeiterin ausgereicht. Eine Abmahnung bedürfe es nur dann nicht, wenn eine so schwere Pflichtverletzung vorliege, dass sie durch den Arbeitgeber ganz offensichtlich nicht hingenommen werden könne. In diesem Fall hatte die Mitarbeiterin jedoch 30 Jahre beanstandungsfrei für den Arbeitgeber gearbeitet.
 Mit dieser Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Auffassung geändert. Bis zum Sommer letzten Jahres war man davon ausgegangen, dass jedes Eigentums- oder Vermögensdelikt das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen erschüttere. Und solche Bagatellkündigungen kamen nicht selten vor.
 Nun beklagen Arbeitsrechtler, dass keine verlässliche Einschätzung der Wirksamkeit ausgesprochener fristloser Kündigungen mehr möglich sei. Am Ende würde allein der jeweilige Richter entscheiden, welcher Vermögenswert oder welche Dauer der Betriebszugehörigkeit dazu führen könne, dass die Kündigung gerechtfertigt sei oder nicht. Diese Einschätzung ist aber vielleicht etwas übertrieben. Es geht dem Bundesarbeitsgericht wirklich nur um Bagatellkündigungen, bei denen einem schon früher der gesunde Menschenverstand sagte, dass eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses übertrieben ist. Der gesunde Menschenverstand war nur von juristischer Dogmatik übertüncht worden. Bei einem Schaden unter 10 € sollten sich also Arbeitgeber zukünftig überlegen, ob tatsächlich eine Kündigung als adäquate Reaktion akzeptiert werden kann.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.6.2010, 2 AZR 541/09)